We chat
24.02. - 14.04.2018
Verena Issel, geb. 1982 in München, lebt und arbeitet in Hamburg. Sie hat dort an der Hochschule für Bildende Künste bei Pia Stadtbäumer, Andrea Tippel, Franz Erhard Walther und Michaela Mélian studiert. Die Künstlerin war mit Austauschprojekten und Stipendien wiederholt in China unterwegs, zuletzt von Juli bis Dezember 2017 in der Swatch Art Peace Hotel Residency, Shanghai.
We Chat (chinesisch „kleine Nachricht“) war ursprünglich ein chinesischer Chat-Dienst für Smartphones, der inzwischen um viele Funktionen erweitert wurde. Nutzer können neben dem reinen Instant Messaging mit der App Audionachrichten versenden, Videotelefonate durchführen, Fotos, Videos oder ihren Aufenthaltsort teilen, Taxis, Lebensmittel oder Essen bestellen, Restaurant- und Stromrechnungen bezahlen, Sticker kaufen, Jobs oder Leute in der Nähe suchen, Arzttermine buchen, Visa für die USA beantragen, Spiele spielen und eigene Mobile-Stores betreiben. Die App hat einen eigenen App-Store sowie einen Nachrichtenstream namens „Moments“. Fast niemand mehr in China bezahlt mit Bargeld, alle nutzen das Mobile-Payment-System WeChat Pay.
Seit September 2017 ist die Weitergabe nahezu aller Informationen an die chinesischen Behörden Teil der offiziellen Datenschutzerklärung von WeChat. Da WeChat ein umfassendes System ist, weiß der Staat fast alles über seine Bürger: wie sie leben, mit wem sie sprechen, was sie essen, was sie kaufen, was sie denken...
Die chinesische ID-Karte wird künftig mit dem WeChat-Konto verknüpft werden. Ab 2020 sollen die chinesischen Bürger mit Hilfe von WeChat gänzlich überwacht werden und sogenannte Social Credit Points erhalten. Alle Bürger starten mit einem guten Sozialpunktestand, bei einem „schlechten“ Kaufverhalten, Verkehrsregel-Übertretungen, anstößigen Bildern, systemkritischen Äußerungen etc. gibt es jeweils Punkteabzug. Es ist noch in der Diskussion, ob ein geringer Punktestand zum Beispiel zum Ausschluss von der Sozialversicherung führt und ob womöglich Kinder von Eltern mit geringen Punktestand noch auf die staatliche Schule zugelassen werden. Als erster Schritt zu dem Social Credit System wurde nun im Februar 2018 die Nutzung von VPNs - Programmen, mit deren Hilfe man sich der Überwachung durch das Internet entziehen kann - mit Gefängnisstrafen belegt.
In ihrer eigens für die Oechsner Galerie entwickelten Rauminstallation erschafft Verena Issel ein in sich geschlossenes System, in dem einzeln stehende Bilder miteinander verbunden sind durch Wandmalerei, Plastikrohre und Chatsymbole.
Die umfassende Kontrolle durch das Programm WeChat wird in seiner positiven Freundlichkeit karikiert, der scheinbar naive Zugriff auf und durch die App wird durch die Vergrößerungen anderer systemischer Teile des überwachenden Unternehmens zurückgeholt in die dingliche Welt: die auf den Malereien abgebildeten "Tubes" (engl.: Rohre) sind der U-Bahn (auf engl. auch: "Tube") Shanghais entnommene röhrenförmige Haltegriffe (**Man verbringt durchschnittlich zwei Stunden pro Tag in der U-Bahn in Shanghai - und man wird dabei selbstverständlich gefilmt). Diese verweisen auf das Datennetz und persiflieren es gleichzeitig.
Die Künstlerin, deren Interesse der Malerei gilt, lotet im skulpturalen und installativen Umgang die Grenzen des zwei- und dreidimensionalen Bildraums aus. Ihr gelingt es, Schnittstellen aufzuheben bzw. unsichtbar zu machen.